Buckminster Fuller – der erste Designforscher
Beschäftigt man sich mit Design und der Wissenschaft vom Entwerfen, kommt man nicht um das Leben und Wirken des US-amerikanischen Forschers Richard Buckminster Fuller herum.
Bei Bürdek wird er als „Leitfigur des Designs“ und an anderer Stelle als „erster Designforscher“ beschrieben. Jene von Siebertz aufgestellte These, Fuller sei der erste Designforscher gewesen, soll in dieser Arbeit untersucht werden. In der vorliegenden Literatur wird Fuller als Philosoph, Designer, Architekt, Ingenieur und Visionär bezeichnet. Architekt und Ingenieur war er im herkömmlichen Sinne nicht, denn er absolvierte weder ein Architektur-, noch ein Ingenieurs- oder ein anderes künstlerisch-gestalterisches Studium. Trotzdem hatte sein Werk einen großen Einfluss auf die Architektur und andere Künste und Wissenschaften. Von Designern und Designhistorikern wird er zu einer Leitfigur und gar zum Begründer einer umfassenden Designwissenschaft geadelt.
Nach einer kurzen Einführung in Fullers Biografie werden die Biosphère als exemplarisches Beispiel für sein Werk sowie grundlegende Prinzipien seiner Lehre der Synergie anhand anderer Objekte erläutert. Anschließend wird die Aufnahme seines Werks in der Geschichte, also die Rezeption, analysiert. Verschieden Positionen zu Fullers Wirken werden dargestellt und mithilfe wichtiger Erkenntnisse aus der Designtheorie analysiert. Der Vergleich mit europäischen Avantgarde-Architekten, im Besonderen Hannes Meyer, gibt soll dieser Arbeit eine besondere Akzentuierung geben. Abschließend soll Fullers Werk in einem persönlichen Fazit bewertet werden.
Chronofile – Lebenslauf eines Genies
Aus einer traditionsreichen und gebildeten Familie stammend, wurde Fuller den gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht, als er wegen ungebührlichen Verhaltens sein begonnenes Studium in Harvard beenden musste. Anders als viele seiner Zeitgenossen erhielt er also keine akademische Ausbildung. Sein Wissen über Konstruktionsprinzipien erlangte er durch eine Ausbildung zum millwright (Mühlentechniker) in der Baumwollindustrie und seine Laufbahn bei der US Navy während des Ersten Weltkriegs. Mit seinem Schwiegervater J.M. Hewlett gründete er 1922 das Unternehmen Stockade Building System, das Werkstoffe und Bausteine für die Bauindustrie herstellte und vertrieb. Nachdem er 1927 aus dem eigenen Unternehmen entlassen wurde, begann für ihn eine Krise, die als Wendepunkt seiner Biografie dargestellt wird. Schon davor hatte Fuller begonnen, mithilfe von Mathematik und Physik Konstruktionsprinzipien zu entwickeln, die es in dieser Form bisher nicht gab. Doch die Entwicklung des Dymaxion House brachte ihn erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit und markierte damit den Beginn einer Karriere als Konstrukteur und Wissenschaftler. Nachfolgende Objekte waren u.a. Dymaxion Car, Dymaxion Dwelling Machine und Dymaxion Bathroom. Sein erster kommerzieller Auftrag als Architekt folgte erst 1953 – für die Ford Motor Company wurde erstmals einer seiner Entwürfe einer Geodätischen Kuppel gebaut. Es folgten viele weitere: die größte von ihnen ist die Biosphère in Montreal, die 1967 zur Weltausstellung als Pavillon der USA gebaut wurde. Bis heute wurden mehr als 300.000 Geodätische Kuppeln nach Fullers Entwürfen realisiert.
Nicht nur seine Bauwerke, sondern auch – und vielmehr – seine philosophischen und praktischen Überlegungen machten Fuller berühmt. Die Universität Harvard berief ihn zum Professor – und zwar nicht etwa für Architektur, sondern für Poesie. Bis zu seinem Tod 1983 arbeitete er mit vielen bekannten Architekten und Wissenschaftlern zusammen und beeinflusste deren Arbeit maßgeblich.
„Fuller did not limit himself to one field but worked as a ‚comprehensive anticipatory design scientist‘ to solve global problems surrounding housing, shelter, transportation, education, energy, ecological destruction, and poverty.”
Schon in den 1930er Jahren erkannte er die besondere Relevanz nicht nur ökonomischer, sondern auch ökologischer Aspekte von Design, denn „er wolle nicht nur seine Familienangehörigen, sich elbst, sein Land und seine Arbeitskollegen, sondern stets die gesamte Menscheit umfassend fördern“.
Maximum strength – Biosphere, Montreal
Nachdem Fuller bereits in den 50er-Jahren seine ersten Geodätischen Kuppeln hatte bauen lassen, wurde die United States Information Agency auf ihn aufmerksam und beauftragte ihn mit dem Entwurf eines Pavillons für die USA zur Weltausstellung 1967 in Kanada.
Entstanden ist eine Kuppel mit einem Durchmesser von 76 und einer Höhe von 62 Metern, bestehend aus einem stählernen Tragwerk und Plexiglas. Die Biosphère bildet eine Fünf-Achtel-Sphäre, also eine nicht vollständige Kugel. Der Entwurf der Form basiert auf einem Ikosaeder, der so adaptiert wurde, dass er eine Sphäre bildet. Stählerne Röhren bilden Dreiecke, die zu Ikosaedern zusammengefügt werden, welche wiederum zusammengesetzt die Sphäre bilden.
Durch die Röhren des Tragwerks sind elektrische Leitungen gelegt, die eine Steuerung der einzelnen Innenräume, welche mit Plexiglas-Scheiben gefüllt waren, ermöglicht – so konnten diese einzeln bewegt werden. In Fullers Entwurf war vorgesehen, dass sie sich auch färben lassen, um den Innenraum bei starker Sonneneinstrahlung zu schützen. Es sollte ein intelligentes Bauwerk werden, das mit der Natur und Witterung interagiert. Fuller nutzte Prinzipien der Geometrie aus: durch die Kugelform und die Konstruktion des Tragwerks ist der Materialaufwand sehr gering relativ zum überspannten Raum – möglichst geringer Aufwand bei möglichst großem Nutzen. Das Prinzip less with more entsteht. Dank der Konstruktion sind alle Geodätischen Kuppeln sehr leicht – kleinere Kuppeln, die Fuller u.a. für die US Army entwarf, können mit einem Helikopter transportiert werden.
Starting with the universe – Fullers Philosophie
In den 20er- und 30er-Jahren entwickelte Fuller mehrere Objekte, an denen sich seine Denkweise gut illustrieren lässt. 1927 entstand nach einigen Jahren Entwicklung das Dymaxion House – eine Wohneinheit, die standortunabhängig und autark ist. Die zunächst als 4D House bezeichnete „Wohnmaschine“ erhielt ihren späteren Namen nach Beauftragung eines Texters. Dieser entwickelte den Begriff Dymaxion aus Fullers Notizen und Vorträgen als Mischung aus den Begriffen dynamic, maximum und ion.
An einem zentralen Mast hängt eine Konstruktion mit achteckigem Grundriss ohne echte Fassade, die aber durch Dach, Boden und Fenster einen geschlossenen Raum bildet. Der Mast kontrolliert die Luftzirkulation und regelt somit die Temperatur im Inneren. Die „Wohnmaschine“ wäscht außerdem die Wäsche und entsorgt den Abfall. Nach Fullers Plan sollte die Einheit in industrieller Massenfertigung produziert und damit für jeden Käufer extrem günstig werden (4.800 USD, Stand 1930). Das Dymaxion House ist bis ins kleinste Detail multifunktional und effizient – und damit das perfekte Objekt zur Illustration für Fullers Konzept der Ephemerisierung. Ephemer bedeutet flüchtig, vergänglich (z.B. ephemere Kunst) – Fuller erklärt, dass technischer Fortschritt darin besteht, Teile eines Ganzen kleiner zu machen, ihnen mehr Funktionen zu geben und damit ein effizienteres System zu schaffen.
Die Produktion des Dymaxion House in Serie war aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Umstände (Zweiter Weltkrieg, Große Depression) nicht möglich. Außerdem war die Skepsis gegenüber Fullers Konstruktionen groß. Eine veränderte Form des Hauses, die Dymaxion Dwelling Machine, wurde in den folgenden Jahren jedoch mehrfach gebaut.
Fullers holistischer Anspruch an die Wissenschaft und das Leben an sich ist gekennzeichnet durch den Versuch, die Kluft zwischen Natur und Technik, Geist und Materie zu überbauen.
„Im Universum ist alles fortwährend in Bewegung, und alles bewegt sich immer in Richtungen des geringsten Widerstandes (…) so kam ich zu der Ansicht, dass ich nie versuchen würde, den Menschen zu ändern – das ist viel zu schwierig. Ich würde versuchen, die Umwelt zu verändern und zwar so, dass die Menschen in die gewünschten Richtungen gehen können.“
Dies gipfelt in seinem Prinzip der Synergie (synergetics), einer empirisch-experimentellen Form der Geometrie, die untersucht, auf welche Art Teile eines Ganzen zusammenwirken.
„[synergy is] the behavior of a whole system unpredicted by the behavior of its components (…) [geodesic domes] are a local application of a comprehensive system.“
Was zunächst abstrakt klingt, lässt sich an den zahlreich gebauten Kuppeln illustrieren: während sie im Gesamten den Ausschnitt einer Kugel darstellen, bestehen sie in ihren Einzelteilen aus geometrischen Grundformen wie Drei- oder Mehrecken. Die Konstruktionen aus Metall und Glas sind im Vergleich zu Kuppeln aus anderen Materialien extrem leicht und gleichzeitig stabil.
Fool on the hill – Rezeption
Fullers Werk und dessen Wirkung im Hinblick auf Architekturgeschichte zu bewerten, fällt schwer. Denn er war kein Architekt und wollte auch keiner sein. Ganz im Gegenteil, er kritisierte den Berufsstand der Architekten scharf – gleichzeitig war er auf Architekten angewiesen, denn seine Entwürfe sollten realisiert werden. Nikolaus Pevsner stellte die These auf, dass es sich bei Gebäuden nur dann um Architektur handle, wenn sie sich durch eine ästhetische Qualität auszeichnen. Fuller hingegen erklärte, die Gestaltung eines Bauwerks mit einer vorgegebenen Grundstruktur habe zwar eine ästhetische Funktion, sei aber vollkommen bedeutungslos. Zudem forderte er zu einem radikalen Umdenken auf.
Kenneth Frampton beschreibt zwei extreme Pole von Architektur: Architektur als Kunst und als Technik, während Fuller letzteren ausmache. Berühmte Architekten wie Frank Lloyd Wright und Minoru Yamasaki beschreiben Fuller als Visionär, Freund und sprechen offen ihre Bewunderung aus. Yamasaki meint, kein Architekt könne nicht von Fuller beeinflusst sein.
Konrad Wachsmann griff Fullers Ideen zur Effizienz auf und entwickelte daraus Tragwerke, die mit wenig Materialeinsatz und geringem Gewicht einen möglichst großen Raum überspannen konnten – gut zu sehen am von ihm entwickelten Flugzeughangar.
Fuller war gut befreundet mit Norman Foster – gemeinsam arbeiteten sie zum Beispiel an den Entwürfen zur Umgestaltung des Reichstags in Berlin. Der Einfluss Fullers ist bei Betrachtung der Kuppel und des Tragwerks auch nicht von der Hand zu weisen. 1983 entwickelten die beiden das Autonomic House und planten, es zu bauen und dort zu wohnen. Fosters Umbau des British Museum von 1997 bis 2000 wäre ohne Fullers Einfluss nicht denkbar.
Fazit
Zu Recht werden Fuller in der Literatur mehrere Professionen zugeordnet, denn er beschäftigte sich umfassend mit vielen Wissenschaften und machte Erkenntnisse, die nicht nur für die Architektur, sondern auch für Technik und Philosophie bedeutend sein können. Er war ein konzeptioneller Denker: anders als Architekten wollte er nicht primär Gebäude bauen, sondern grundlegende Strukturen schaffen, die Natur, Technik und Mensch effizient vereinen und allen nützen. Fuller ist schon fast ein Mythos – er soll sein Leben lang alle 15 Minuten Tagebuch geführt haben, um daraus seine Ideen für die Entwicklung neuer Konstruktionen zu gewinnen. Viele haben ihn verehrt und gefeiert – im Fernsehen wurde eine insgesamt 42-stündige Vortragsreihe übertragen; die Beatles widmeten ihm mit „fool on the hill“ einen Song. Das Wort Synergie in seiner heutigen Verwendung ist eine Erfindung Fullers und gehört heute zum Standard-Wortschatz. 1996 ging der Nobelpreis im Fach Chemie an die Erfinder eines Kohlenstoff-Moleküls, das sie Buckminsterfullerene nannten.
In seinem Wirken erschuf er nicht einfach nur Bauwerke oder hatte Einfluss auf Menschen – es ist der Anstoß und die Aufforderung, das „Raumschiff Erde“ ökologisch und effizient zu nutzen und weiterzuentwickeln.
Literatur
Fuller, Richard Buckminster: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, Hamburg 2010
Krohn, Carsten: Buckminster Fuller und die Architekten, Berlin 1996
Marks, Robert: The Dymaxion World of Buckminster Fuller, New York 1973
Pevsner, Nikolaus et al.: Lexikon der Weltarchitektur, dritte Auflage, München 1992
http://www.spiegel.de/einestages/universalgenie-buckminster-fuller-a-947489.html [08.04.2014]
http://www.zeit.de/2011/28/Buckminster-Fuller [08.04.2014]
http://bfi.org/about-fuller [08.04.2014]